Zur Bewertung eines Morbus Werlhof nach dem Schwerbehindertenrecht
Zur Bewertung eines Morbus Werlhof nach dem Schwerbehindertenrecht
Die Beteiligten streiten über die Höhe des festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) und hierbei konkret darüber, ob beim Kläger die Voraussetzungen der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem GdB von 50 erfüllt sind.
Der 1960 geborene Kläger stellte am 26.02.2006 erstmalig einen Antrag nach dem Schwerbehindertenrecht. Er leide an einem Morbus Werlhof. Hierbei handele es sich um eine Erkrankung verbunden mit Blutungsneigung, Durchfällen, leichterer Ermüdbarkeit, häufigem Schwitzen, Depressionen, einem Tremor und weiteren Beschwerden. Er sei ständig auf die Einnahme von Medikamenten angewiesen.
Dem Antrag war ein Befundbericht des Facharztes für Innere Medizin Dr. S. vom 10.02.2006 beigefügt, der im Rahmen der Diagnosen auf eine chronische Autoimmunthrombozytopenie im Sinne eines Morbus Werlhof verweist. Es bestehe eine Thrombozytopenie bis 15.000, einhergehend mit Haut- und Schleimhautblutungen. Aktuell unter niedrig dosierter Prednisolon-Therapie würden Thrombozytenwerte von ca. 50.000 vorliegen. Zur Zusammenfassung kann dem Bericht unter anderem entnommen werden, dass die Thrombozytenwerte in den Normalbereich erhöht werden konnten. Auch die Kortisondosis habe verringert werden können. Nebenwirkungen der Medikation seien leichte Hautreizungen im Gesicht sowie leichte Schwellungen im Bereich der Augen (Bl. 3 Verwaltungsakte).
Der Beklagte ließ die medizinischen Unterlagen durch seinen ärztlichen Dienst auswerten, der vom Kläger angegebene psychovegetative bzw. funktionelle Störungen mit einem Einzel-GdB von 10 und den Morbus Werlhof mit einem Einzel-GdB von 30 bewertete und auf dieser Grundlage zu einem Gesamt-GdB von 30 gelangte (Bl. 4 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 21.02.2006 stellte der Beklagte einen entsprechenden GdB von 30 fest (Bl. 5 Verwaltungsakte).
Am 05.06.2007 stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag. Die bereits festgestellten Behinderungen hätten sich verschlechtert (Bl. 7 Verwaltungsakte).
Ein Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin E. vom 12.07.2007 verweist darauf, dass sich der Kläger zuletzt am 30.01.2007 vorgestellt habe. Der Bericht enthält als Diagnosen eine BWS-Skoliose und den Morbus Werlhof. Dem Bericht kann unter anderem entnommen werden, dass bei der letzten Untersuchung handtellergroße Hämatome an beiden Beinen ohne erinnerliches Trauma und Rötungen an den distalen Unterschenkeln festzustellen gewesen seien (Bl. 12 Verwaltungsakte).
Der Beklagte ließ diesen Befundbericht und weitere medizinische Unterlagen durch seinen ärztlichen Dienst auswerten, der in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 27.09.2007 zur Einschätzung gelangte, dass der Morbus Werlhof weiterhin mit einem Einzel-GdB von 30, psychovegetative Störungen mit einem Einzel-GdB von 10 und Wirbelsäulenbeschwerden ebenfalls mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten seien. Es verbleibe bei einem Gesamt-GdB von 30 (Bl. 19 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 27.09.2007 stellte der Beklagte erneut einen GdB von 30 fest, berücksichtigte als weitere Behinderung jedoch Wirbelsäulenbeschwerden (Bl. 21 Verwaltungsakte).
Am 08.07.2011 stellte der Kläger einen weiteren Änderungsantrag. Der Morbus Werlhof habe sich verschlimmert (Bl. 23 Verwaltungsakte).
Der Beklagte holte zur Aufklärung des Sachverhalts einen Befundbericht des Hausarztes E. vom 19.07.2011 ein (Bl. 21 Verwaltungsakte) und ließ den Bericht durch den Sozialmediziner Dr. M. auswerten, der in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 05.08.2011 ausführt, dass auf der Grundlage des Hausarztberichtes mit zuletzt erhobenen Laborparametern im April 2010 eine Anhebung des GdB nicht gerechtfertigt sei (Bl. 31 Verwaltungsakte).
Mit Bescheid vom 19.08.2011 lehnte der Beklagte den Neufeststellungsantrag ab (Bl. 32 Verwaltungsakte).
Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 14.09.2011 Widerspruch ein (Bl. 34).
Der Beklagte holte zur Aufklärung des Sachverhalts einen Befundbericht beim Werlhof Institut vom 01.11.2011 ein. Aus dem überreichten Befundbericht geht nicht hervor, wann der Kläger im Werlhof Institut behandelt wurde. Auch fehlen im Befundbericht konkret erhobene Befunde. Vielmehr handelt es sich bei dem Bericht um allgemeine Ausführungen zum Krankheitsbild des Morbus Werlhof. Abschließend empfehlen die behandelnden Ärzte wegen der ständigen Gefahr spontaner Blutungen einen Einzel-GdB von mindestens 80 (Bl. 37 Verwaltungsakte).
Erhobenen Laborparametern kann eine Thrombozytenzahl in Tausend am 10.06.2008 von 23 und am 31.05.2011 von 9 entnommen werden (Bl. 39 Verwaltungsakte).
Der Beklagte ließ den Befundbericht durch den Sozialmediziner Dr. M. auswerten, der in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 29.11.2011 ausführt, dass das geschilderte Risiko und eventuell zukünftige Erkrankungen keine Erhöhung des festgestellten GdB begründeten. Es verbleibe bei einem Gesamt-GdB von 30 (Bl. 43 Verwaltungsakte).
Mit Widerspruchsbescheid vom 24.01.2012 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück (Bl. 45 f. Verwaltungsakte).
Am 20.02.2012 hat der Kläger gegen den Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids Klage beim Sozialgericht Kassel erhoben.
Das Gericht hat zur Aufklärung des Sachverhalts zunächst Befunde bei den behandelnden Ärzten eingeholt.
Einem Befundbericht des Facharztes für Allgemeinmedizin E. vom 24.04.2012 war eine Karteikarte beigefügt. Bei der letzten Untersuchung am 13.03.2012 habe der Kläger ein Krankheitsgefühl und Gliederschmerzen angegeben. Er nehme noch 5 mg Prednisolon. Derzeit habe er keine Blutungsereignisse. Die Temperatur lag bei 36,6°. Der Rachen sei reizlos und die Zunge sei belegt gewesen. Die Lungen seien frei. Es wurde ein Blutdruck von 120/80 mmHg gemessen. Bei der vorletzten Vorstellung am 21.11.2011 habe der Kläger erneut eine verfärbte Zunge aufgewiesen. Er habe über Oberbauchschmerzen und Übelkeit ohne Erbrechen geklagt. Das Abdomen sei weich gewesen. Der Kläger habe einen Druckschmerz im linken Bauch angegeben. Bei einer Vorstellung am 31.10.2011 habe der Kläger über Sodbrennen, Kopfschmerzen, Husten und etwas Schnupfen geklagt. Die Lungen seien frei gewesen. Am 09.06.2011 habe der Kläger angegeben, aktuell nur 9000 Thrombozyten zu haben. Er habe ein spontanes Nasenbluten und periphere Hämatome und fühle sich nicht wohl. Er sehe immer schlechter, sei aber lange nicht beim Augenarzt gewesen. Dem Kläger sei dringend zur Vorstellung beim Augenarzt geraten worden, um Netzhautblutungen ausschließen zu können (Bl. 29 Gerichtsakte).
Aus einem Befundbericht des Hospitals ZK. vom 28.04.2012 geht hervor, dass sich der Kläger einmalig wegen einer Thoraxprellung am 02.01.2012 vorgestellt habe. Auf den Bericht wird Bezug genommen (Bl. 30 Gerichtsakte).
Einem Befundbericht des Werlhof Institutes durch den Privatdozenten Dr. D. vom 14.08.2012 kann entnommen werden, dass der Kläger unter Unverträglichkeiten des Cortisons leide in Form von Augenbeschwerden und Sehstörungen, einer Gewichtszunahme, einem Cushingsyndrom und gehäuften Infekten. Trotz der Cortisontherapie habe der Kläger immer noch eine sehr niedrige Blutplättchenzahl (zuletzt 13/nL, Norm 150/450). Der Zustand sei auf niedrigem Niveau unverändert (Bl. 36 Gerichtsakte).
Der Beklagte ließ die medizinischen Unterlagen durch seinen ärztlichen Dienst auswerten, der in der gutachterlichen Stellungnahme vom 28.08.2012 ausführt, dass aus dem Bericht des Hospitals ZK. vom 24.04.2012 hervorgehe, dass bei dem Zustand nach stattgehabtem Sturzereignis keine sichtbaren Verletzungszeichen oder Prellmarken oder Hinweise auf Folgestörungen vor dem Hintergrund der vorliegenden Thrombozytopenie beschrieben sind. Dem Befundbericht des Werlhof-Institutes seien keine aktuellen Laborparameter beigefügt gewesen. Eine Änderung des Standpunktes ergebe sich derzeit nicht (Bl. 42 Gerichtsakte).
Das Gericht hat sodann beim Hausarzt E. aktuelle Laborparameter angefordert (Bl. 58 Gerichtsakte) und diese Laborparameter den Beteiligten zur Stellungnahme übersandt. Der medizinische Dienst des Beklagten hat hierzu in seiner Stellungnahme vom 23.11.2012 ausgeführt, dass eine Anhebung des GdB nicht indiziert sei (Bl. 64 Gerichtsakte).
Das Gericht hat sodann zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein internistisches Gutachten beim Facharzt für Innere Medizin B. in Auftrag gegeben, welches dieser am 08.05.2013 nach ambulanter Untersuchung am gleichen Tag erstellt hat (Bl. 77 ff. Gerichtsakte). Der Kläger hat zur Begutachtung aktuelle Laborparameter des Hausarztes E. vom 21.02.2013 überreicht, zu denen Herr B. bemerkt, dass die Blutplättchenzahl mit 6.3/nl deutlich erniedrigt sei (Bl. 81 Gerichtsakte).
Dem Gutachten kann zur Vorgeschichte entnommen werden, dass der Kläger angab, als Jugendlicher sowohl links als auch rechts eine Achillessehnenruptur gehabt zu haben. Anfang der 90er Jahre sei ein Knie arthroskopiert worden. Ansonsten sei er immer gesund gewesen. Im Jahr 2005 oder 2006 seien Blutergüsse an der Innenseite der Oberschenkel aufgetreten. Auch habe er bei der Arbeit Nasenbluten bekommen. In der Onkologie in B-Stadt habe man eine Thrombozytopenie festgestellt. In der Folgezeit sei er dauerhaft auf Cortison eingestellt worden. Wenn er versuche, die Dosis zu reduzieren, fange es bei ca. 10 mg Prednisolon an mit Nasenbluten und flohstichartigen Hautblutungen (Petechien). Er bekomme danach Magen-Darmprobleme. Eine Behandlung mit dem Medikament Azathioprin habe Erbrechen, Schweißausbrüche und Durchfälle verursacht. Bei grippalen Infekten komme es zu einer Verschlechterung. Im April habe er zwei Wochen krankgeschrieben werden müssen, weil er Halsschmerzen und Nasenbluten gehabt habe. Morgens habe er Blut im Mund gehabt. An aktuellen Beschwerden gab der Kläger an, sich oft müde und kraftlos zu fühlen. Früher habe er - bei der Arbeit – bei der Gymnastik immer mitgemacht. Jetzt bekomme er gleich Schweißausbrüche und gebe nur noch Anweisungen. Früher sei er sportlich orientiert gewesen. Jetzt könne er kaum noch etwas machen. Auch schwere körperliche Arbeit sei nicht möglich. Öfter habe er Blutungsherde an den Unterschenkeln. Er müsse sehr vorsichtig sein. Wenn er sich einmal schneide, dauere es sehr lange, bis die Blutung aufhöre. Sein Sehvermögen habe sich verschlechtert. Im Liegen komme ihm oft der Magensaft hoch. Im letzten halben Jahr habe er zwei- bis dreimal einen brennenden Schmerzen im Brustkorb gehabt, der in beide Halbseiten ausgestrahlt sei. Nach 5-8 Minuten sei es wieder weg gewesen. Auf Nachfrage habe der Kläger angegeben, im letzten Jahr stark an Gewicht zugenommen zu haben. Nahrungsmittelunverträglichkeiten habe er keine. Er habe jeden Tag zwei- bis dreimal Durchfall. Er müsse dann gleich die Toilette aufsuchen. Auch müsse er sehr oft Urin lassen. Sein Schlaf sei schlecht, er wache immer sehr früh morgens auf. Manchmal habe er Schmerzen in der Herzgegend, im Liegen verspüre er ein stärkeres Herzklopfen. Gelenkbeschwerden habe er keine. Ein abendliches Geschwollensein der Füße und Beine sei auf Nachfrage verneint worden. Er habe 35 Jahre lang stark geraucht, vor vier Monaten habe er damit aufgehört. Täglich nehme er 20 mg Prednisolon. Zusätzlich nehme er täglich eine Calciumstablette. Eine Knochendichtemessung sei noch nicht durchgeführt worden. Auch seien noch keine Spiegelungen von Magen und Dickdarm durchgeführt worden. Vor der letzten Zahnbehandlung sei die Cortisondosis auf 50 mg erhöht worden. Wenn er die Cortisondosis erhöhe, gingen die Thrombozyten auf bis zu 60.000 hoch (Bl. 84 Gerichtsakte). Der Kläger ist von Beruf Physiotherapeut in der X-Klinik in X. Sport mache er keinen mehr. In seiner Freizeit gehe er mit dem Hund spazieren. Beim Bergaufgehen komme er schnell außer Atmen.
Dem Gutachten kann zum Untersuchungsbefund entnommen werden, dass der Kläger bei einer Körpergröße von 176 cm ein Gewicht von 94,8 kg habe. Er mache einen altersentsprechenden guten Allgemein- und Kräftezustand. Er habe einen breiten, kräftigen, etwas gedrungenen Körperbau und sei gering übergewichtig. Es bestünden keine Zeichen einer schweren Allgemeinerkrankung. Es zeigten sich keine Hinweise auf eine Kurzatmigkeit und keine krankhaften Wassereinlagerungen. Die Bewegungen, Haltung und der Gang seien unauffällig. Die Haut und die sichtbaren Schleimhäute seien gut durchblutet. Am Rücken zeige sich eine geringe Akne. Zwei ca. münzgroße ältere Blutergüsse seien am linken Oberschenkel zu sehen. Das Gesicht sei gering gerötet, tendenziell etwas rundlicher, aber kein typisches so genanntes „Vollmondgesicht“ (Bl. 85 Gerichtsakte). Der Kopf sei frei beweglich, nicht klopfempfindlich und die Nervenaustrittspunkte seien frei. Bei der Untersuchung von Herz und Lunge zeigten sich im Wesentlichen keine Auffälligkeiten. Der Kläger habe eine straffe Bauchdecke. Pathologische Auffälligkeiten der Bauchgegend werden nicht beschrieben. Die Wirbelsäule sei annähernd symmetrisch, nicht erkennbar eingeschränkt und nicht klopfempfindlich. Auch im Bereich der Gliedmaßen werden keine Auffälligkeiten beschrieben. Auch bei der groborientierenden neurologischen Untersuchung seien keine pathologischen Auffälligkeiten erkennbar gewesen. In psychischer Hinsicht wird darauf hingewiesen, dass die Denkabläufe des Klägers formal und inhaltlich nicht erkennbar beeinträchtigt gewesen seien. Der Kläger zeige ein situationsgerechtes Verhalten, wirke aber insgesamt etwas bedrückt (Bl. 86 Gerichtsakte). Bei einem Elektrokardiogramm zeige sich eine diskrete Störung der Erregungsrückbildung, wobei es sich um keinen sicheren krankhaften Befund handele. Der Kläger wurde sodann auf dem Ergometer bis 200 Watt belastet. Hierbei habe sich eine gering vermehrte Kurzatmigkeit gezeigt. Herzbeschwerden seien nicht aufgetreten. Es sei insgesamt von keiner höhergradigen Verminderung der kardiopulmonalen Leistungsfähigkeit auszugehen (Bl. 87 Gerichtsakte). Eine Ultraschalluntersuchung der Bauchorgane habe einen normalen Befund ergeben. Auf Wunsch des Klägers sei auf eine Blutentnahme verzichtet worden. Gemäß den mitgebrachten Laborwerten sei die Zahl der Blutplättchen stark verringert. Hinweise auf weitere Erkrankungen hätten sich nicht ergeben (Bl. 88 Gerichtsakte). Das Gutachten enthält als Diagnosen:
1. Morbus Werlhof – GdB 30. 2. Übergewicht mit erhöhten Cholesterinwerten – kein GdB.
Dem Gutachten kann sodann zur Beurteilung entnommen werden, dass beim Kläger ein Morbus Werlhof seit Jahren bekannt sei. Bei dieser Krankheit komme es aufgrund unbekannter Ursache zu der Ausbildung von Antikörpern gegen die Blutplättchen. Diese würden zerstört und vermehrt in der Milz abgebaut. Die Blutplättchen seien für die Blutgerinnung wichtig. Bei einer Zahl von unter 30.000/nl bestehe eine Blutungsgefahr. Durch eine Cortisoneinnahme könne die Zahl der Blutplättchen erhöht werden; die Blutungsneigung gehe dadurch zurück. Die Blutungsgefahr steige auch bei Infekten. Spontanblutungen könnten im Gehirn auftreten und seien dann lebensbedrohend. Ein erhöhtes Blutungsrisiko bestehe auch bei stumpfen Verletzungen. In einigen Fällen komme es zu einer Spontanremission der Krankheit. Bei ca. 80 % führe die Entfernung der Milz zu einer wesentlichen Besserung. Gemäß der hausärztlichen Dokumentation bestanden im November 2010 Blutergüsse der Bauchhaut. Nasenbluten und Blutergüsse seien auch im Juni 2011 beschrieben. Nach einer Thoraxprellung im Januar 2012 sei es hingegen nicht zu einer Blutergussbildung gekommen. Die vom Hausarzt übermittelten Laborergebnisse zeigten durchgängig erniedrigte Werte für die Blutplättchen. Die Zahl der roten Blutkörperchen, der Blutfarbstoffgehalt und der Eisenwert würden hingegen im Normbereich liegen. Zu einem nennenswerten Blutverlust sei es demgemäß noch nicht gekommen. Der Kläger beklage eine Müdigkeit und Kraftlosigkeit. Er habe öfter Blutungsherde an den Unterschenkeln, sein Sehvermögen habe sich verschlechtert, im Liegen komme ihm Magensaft hoch und er habe stark an Gewicht zugenommen. Bei der körperlichen Untersuchung lasse sich an den inneren Organen kein krankhafter Befund erheben. Der Kläger sei übergewichtig, es fanden sich zwei münzgroße ältere Blutergüsse. Ein Ruhe-EKG sei unauffällig gewesen. Die kardiopulmonale Belastbarkeit sei nicht eingeschränkt. Auch eine Ultraschalluntersuchung habe unauffällige Befunde ergeben. Für die Bewertung nach dem Schwerbehindertenrecht sei Abschnitt B 16.10 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze heranzuziehen. Es handele sich bei dem Morbus Werlhof um ein sonstiges Blutungsleiden. Da noch keine starken Blutungen aufgetreten seien, sei von „mäßigen Auswirkungen“ auszugehen. Hier sei ein GdB von 20-40 vorgesehen. Gehe man ausschließlich von den objektiven Funktionsbeeinträchtigungen aus, wäre ein GdB von 20 angemessen. Der GdB von 30 berücksichtige auch die Einschränkungen und Vorsichtsmaßnahmen sowie die Notwendigkeit, zeitweise vermehrt Cortison einzunehmen. Die Cortisoneinnahme stelle ein zusätzliches Risiko dar, da sie eine Gewichtszunahme und die Entwicklung eines metabolischen Syndroms begünstige. Die zusätzlichen Risiken stellten eine psychische Beeinträchtigung dar, die in dem GdB von 30 mit berücksichtigt sei. Allein die Risikosituation rechtfertige nicht die Vergabe eines höheren GdB. Maßgebend sei nur die konkrete Beeinträchtigung. Für eine stärker beeinträchtigende seelische Erkrankung habe die Befragung keinen Anhalt ergeben. Insgesamt sei von einem Gesamt-GdB von 30 auszugehen. Weitere fachspezifische Untersuchungen seien nicht erforderlich. Dieser GdB bestehe ab Antragstellung (Bl. 92 Gerichtsakte).
Der Kläger ist der Auffassung, dass die GdB-Bewertungen des Beklagten und des Sachverständigen B. nicht zutreffen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 19.08.2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 24.01.2012 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ab 08.07.2011 einen GdB von mindestens 50 festzustellen.
Der Beklagte beantragt.
die Klage abzuweisen.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verwaltungsakte des Beklagten und auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Die Klage hat keinen Erfolg. Die zulässige Klage ist unbegründet.
Auf Antrag stellen die zuständigen Behörden nach § 69 Abs. 1 S.1 SGB IX das Vorliegen einer Behinderung und den Grad der Behinderung (GdB) fest. Gemäß § 2 Abs. 1 S.1 SGB IX sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden gemäß § 69 Abs. 1 S.4 SGB IX als Grad der Behinderung nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Zur Bewertung der einzelnen Gesundheitsstörungen, also des jeweiligen Einzel-GdB und des Gesamt-GdB, waren bis zum 31.12.2008 die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) zu Grunde zu legen. Es handelte sich bei den AHP um sog. antizipierte Sachverständigengutachten (Bundessozialgericht (BSG), Beschluss v. 09.12.2010, B 9 SB 35/10 B, juris). Ab dem 01.01.2009 sind die AHP durch die im Wesentlichen inhaltsgleichen „Versorgungsmedizinischen Grundsätze“ abgelöst worden, bei denen es sich um die Anlage zu § 2 Versorgungsmedizinverordnung vom 10.12.2008 handelt. Die Versorgungsmedizinverordnung ist auf der Grundlage von § 30 Abs. 17 Bundesversorgungsgesetz (BVG) erlassen worden. Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sind daher im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zu beachten (BSG, Urteil v. 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris, Rn. 29; BSG, Beschluss v. 20.11.2012, B 9 SB 36/12 B, juris; BSG, Beschluss v. 09.12.2010, B 9 SB 35/10 B, juris; SG Dortmund, Urteil v. 27.01.2009, S 18 SB 389/06; U., SGb 2009, 699 (700); Dau, jurisPR-SozR 4/2009 Anm. 4; Christians in: GK-SGB IX, April 2009, § 69 Rn. 10a).
Für die Bildung des Gesamt-GdB sind beim Vorliegen mehrerer Funktionsbeeinträchtigungen nach § 69 Abs. 3 SGB IX die Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen zueinander zu ermitteln, wobei sich die Anwendung jeglicher Rechenmethoden verbietet (BSG, Beschluss v. 17.04.2013, B 9 SB 69/12 R, juris, Rn. 10). Vielmehr ist zu prüfen, ob und inwieweit die Auswirkungen aus den einzelnen Behinderungen voneinander unabhängig sind und ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen oder ob und inwieweit sich die Auswirkungen der Behinderungen überschneiden oder gegenseitig verstärken. Dabei ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die zu dem höchsten Einzel-GdB führt. In einem weiteren Schritt ist dann im Hinblick auf die weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird. Dabei dürfen die einzelnen Werte allerdings nicht addiert werden. Leichte Gesundheitsstörungen, die einen GdB von nur 10 bedingen, führten grundsätzlich nicht zu einer Zunahme der Gesamtbeeinträchtigung. Selbst bei leichten Funktionsstörungen mit einem Einzel-GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (Versorgungsmedizinische Grundsätze, Punkt A 3 d) ee); dazu auch: BSG, Beschluss v. 17.04.2013, B 9 SB 69/12 B, juris; Landessozialgericht (LSG) Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22.01.2008, L 13 SB 79/04, juris, Rn.27).
Schwankungen des Gesundheitszustands ist gemäß des Punktes A 2 f) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (gebundene Fassung S.20) durch die Bildung eines Durchschnittswertes Rechnung zu tragen.
Gesundheitsstörungen, die erst in Zukunft zu erwarten sind, sind ausweislich des Punktes A 2 h) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze nicht zu berücksichtigen (vgl. auch: BSG, Urteil v. 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris, Rn. 50), wobei eine auf eine Risikodisposition zurückzuführende seelische Belastung im Rahmen der GdB-Bewertung Berücksichtigung zu finden hat.
1. Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze ist die Kammer vom Morbus Werlhof des Klägers ausgegangen und hat diesen übereinstimmend mit dem Beklagten und dem Gerichtssachverständigen B. mit einem Einzel-GdB von 30 bewertet.
Beim Morbus Werlhof handelt es sich um eine Behinderung, die dem Abschnitt B 16 der GdB-Tabelle zu Gesundheitsstörungen des Blutes, der blutbildenden Organe sowie des Immunsystems zuzuordnen ist.
Die Höhe des GdB bei Krankheiten des Blutes, der blutbildenden Organe und des Immunsystems richtet sich nach den Vorbemerkungen zum Abschnitt B 16 des Versorgungsmedizinischen Grundsätze (gebundene Fassung S.93) nach der Schwere der hämatologischen Veränderungen, nach den Organfunktionsstörungen, nach den Rückwirkungen auf andere Organe, nach der Auswirkung auf den Allgemeinzustand und der Häufigkeit von Infektionen.
Der Gerichtssachverständige B. hat zutreffend darauf hingewiesen, dass der beim Kläger bestehende Morbus Werlhof zur Gruppe der sonstigen Blutungsleiden nach Punkt B 16.10 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze gehört. Die Versorgungsmedizinischen Grundsätze sehen hierbei folgende Grade der Behinderungen vor:
ohne wesentliche Auswirkungen... ...10. mit mäßigen Auswirkungen... ...20–40. mit starken Auswirkungen (starke Blutungen bereits bei leichten Traumen)... ...50–70. mit ständiger klinisch manifester Blutungsneigung (Spontanblutungen, Gefahr lebensbedrohlicher Blutungen)... ...80–100.
Der Gerichtsachverständige B. hat vorliegend für die Kammer nachvollziehbar begründet, dass das beim Kläger bestehende Krankheitsbild einem Morbus Werlhof mit mäßigen Auswirkungen entspricht, wobei Herr B. nachvollziehbar eine Bewertung mit einem Einzel-GdB von 30 vorgeschlagen hat. Dieser Bewertung schließt sich die Kammer an. Die Blutplättchen des Klägers schwanken, sind aber insgesamt stark erniedrigt. Auch hat der Kläger im Rahmen der mündlichen Verhandlung glaubhaft geschildert, dass er durch den Morbus Werlhof körperlich deutlich weniger belastbar ist als vor dem Eintritt der Erkrankung, was ihn auch seelisch belastet. Die geschilderte Beunruhigung durch die Notwendigkeit der regelmäßigen Einnahme von Kortison ist für die Kammer nachvollziehbar. Bei der Bewertung des Krankheitsbildes war jedoch auch zu berücksichtigen, dass sich der Kläger trotz der chronischen Erkrankung in einem noch guten Allgemein- und Kräftezustand befindet. Der Kläger konnte auf dem Ergometer bis 200 Watt belastet werden. Eine höhergradige Verminderung der kardiopulmonaten Belastbarkeit wurde dementsprechend vom Sachverständigen B. nachvollziehbar verneint (Bl. 84, 87 Gerichtsakte). Bei der körperlichen Untersuchung zeigen sich lediglich zwei ältere ca. münzgroße Blutergüsse. Nach einer Thoraxprellung nach einem Sturz im Schwimmbad im Januar 2012 kam es – worauf der Sachverständige B. und der Beklagte zutreffend hinweisen – nicht zur Ausbildung eines Blutergusses. Auch ergab die Auswertung der Laborbefunde durch den Sachverständigen B., dass die Zahl der roten Blutkörperchen, der Blutfarbstoffgehalt und der Eisenwert weiterhin im Normbereich lagen, so dass es bisher zu keinem nennenswerten Blutverlust gekommen ist (vgl. Bl. 89 Gerichtsakte). Aus den aktenkundigen medizinischen Unterlagen geht nicht hervor, dass es beim Kläger in der Vergangenheit zu starken Blutungen als Folge von Traumen im Sinne der Versorgungsmedizinischen Grundsätze gekommen ist. Im Gegenteil: Aus der Karteikarte des Allgemeinmediziners E. geht vielmehr beim Eintrag am 13.03.2012 hervor, dass der Kläger zwar unter einem Krankheitsgefühl litt, aber trotz einer Verringerung des Kortisons auf täglich 5 mg derzeit keine Blutungsereignisse habe. Auch aus den übrigen Aktendokumenten ergeben sich keine Hinweise auf Verletzungen des Klägers mit Blutungskomplikationen, weshalb die Einschätzung des Sachverständigen B., dass der GdB von 30 bereits die Notwendigkeit der ständigen Einnahme von Kortison und die seelischen Nebenfolgen der Krankheit mitberücksichtigt, einsichtig ist und die Kammer sich dieser Einschätzung daher auch angeschlossen hat.
2. Die Wirbelsäulenbeschwerden des Klägers sind übereinstimmend mit dem Beklagten mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten. Der Gerichtssachverständige B. hat die Wirbelsäule und Gliedmaßen des Klägers nämlich orientierend untersucht und hierbei keine Bewegungseinschränkungen und keine Schmerzhaftigkeit festgestellt. Auch befindet sich der Kläger wegen orthopädischer Leiden nicht in regelmäßiger Behandlung.
3. Der Kläger leidet an keiner eigenständigen seelischen Erkrankung. Die Kammer schließt sich insoweit der Einschätzung des Gerichtssachverständigen B. an. Die Denkabläufe des Klägers waren bei der Begutachtungssituation und damit übereinstimmend in der mündlichen Verhandlung formal und inhaltlich nicht erkennbar beeinträchtigt. Das Verhalten des Klägers war auch situationsadäquat und insgesamt unauffällig, wobei die Kammer nicht übersehen hat, dass der Kläger durch seine Erkrankung nachvollziehbar psychisch belastet ist. Eine solche seelische Belastung als übliche Begleitfolge der körperlichen Erkrankung ist jedoch ausweislich des Punktes A 2 j) bereits in den Tabellenwerten der Versorgungsmedizinischen Grundsätze enthalten und wurde vorliegend von der Kammer GdB-erhöhend beim Einzel-GdB hinsichtlich des Morbus Werlhof berücksichtigt.
4. Die Kammer hat auf dieser Grundlage im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Gesundheitsstörungen einen Gesamt-GdB von 30 gebildet. Exakt einen solchen Gesamt-GdB hatte der Beklagte bereits im streitgegenständlichen Bescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheids festgestellt.
Die Klage war somit unbegründet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).